Emsdorf. Selten hat es ein Zugezogener, der eigentlich gar nicht aus
dem Landkreis Marburg-Biedenkopf kommt, innerhalb eines Jahres so oft
in unsere Heimatzeitung geschafft wie Sebastian Unverricht. Im Juli
machte der damals 21-jährige Zimmerer-Azubi mit einem selbst gebauten
Kanu Schlagzeilen. Monatelang hatte er an dem Boot gebaut, bevor er es
– unter Anteilnahme von Familie, Freunden und Kollegen – im Emsdorfer
Feuerwehrteich zu Wasser ließ.
Zwei Monate später, bei der Sommer-Freisprechungsfeier der
Kreishandwerkerschaft, lächelte er wieder von der Titelseite, als
einer der besten Auszubildenden. Und nun lacht der mittlerweile
22-jährige Zimmerergeselle erneut in einem Zeitungsartikel:
Unverricht holte nämlich bei den 70. Deutschen Meisterschaften in den
Bauberufen die Goldmedaille und ist damit der beste Zimmerer
Deutschlands des Jahres 2021.
Wenn ein „Holzwurm“ eine so steile Karriere hinlegt, hat er bestimmt
schon im frühen Kindesalter seine Bauklötze verzapft und bearbeitet,
mögen viele jetzt denken. Aber weit gefehlt. „Erst in der Oberstufe
habe ich angefangen, an Möbeln rumzubasteln“, gesteht Sebastian
Unverricht, der, wie er selbst sagt, ohne jegliche handwerklichen
Vorkenntnisse seine Ausbildung bei der Firma Holzbau Pfeiffer in
Emsdorf begonnen hat.
Vorkenntnisse mag er vielleicht nicht gehabt haben, dafür aber jede
Menge Talent und Willen, sind sich Firmenchef Hartmut Pfeiffer und der
für die Ausbildung mitverantwortliche Altgeselle Jörg Eberhardt
sicher.
„Er hat nicht nur seinen Ausbildungsplan im Kopf gehabt, sondern auch
noch rechts und links davon geguckt und sich zahlreiche zusätzliche
Fähigkeiten angeeignet“, lobt Hartmut Pfeiffer – und Jörg Eberhard
ergänzt: „Er war nicht unbedingt ein Überflieger, aber stets bei der
Sache. Er hat sich Arbeitsschritte abgeguckt, nachgefragt und dann
perfekt umgesetzt.“
Der Wettkampf, der in diesem Jahr in Erfurt stattfand, lief über drei
Tage. „Insgesamt hatten wir 22 Stunden Zeit. Wir waren neun Zimmerer,
aber nur drei davon sind fertig geworden“, berichtet Unverricht. Die
Aufgabe der Zimmerer umfasste die Erstellung eines Pultdaches mit
Walm, geneigtem First und Dreiecksgaube. Das erste Modul stellte die
Unterkonstruktion mit Fuß-, Mittel- und geneigter Firstpfette dar, das
zweite Modul dann das Pultdach mit Walm und geneigtem First. „Am Ende
als Sieger auf dem Podium zu stehen, hätte ich überhaupt nicht
erwartet. Andere Teilnehmer waren eineinhalb Stunden früher fertig als
ich. Ich war ziemlich überrascht, aber glücklich“, sagt Unverricht
nicht ohne Stolz. Und auch Hartmut Pfeiffer ist stolz auf seinen
Noch-Gesellen: „Die Anforderungen für die Deutsche Meisterschaft sind
auf Meisterniveau an der obersten Stufe anzusiedeln.“
Aber wieso Noch-Geselle? Unverricht möchte sich nicht auf seinen
Lorbeeren ausruhen. In zieht es in die Denkmalpflege als Geselle für
Restaurierungsarbeiten. Die Fortbildung beginnt im nächsten Jahr. Bis
dahin bleibt Unverricht der Emsdorfer Zimmerei erhalten. Kollege Jörg
Eberhardt bedauert Unverrichts Weggehpläne: „Ich versuche ihn ja immer
noch zu bequatschen“, sagt er lachend. Hartmut Pfeiffer hingegen ist
nicht ganz so betrübt. Als Unternehmer finde er es natürlich schade,
einen so guten Mitarbeiter zu verlieren: „Aber er bleibt dem Handwerk
erhalten – und das ist für alle ein Gewinn“.
Quellenangabe: OP Marburg/Ostkreis vom 25.11.2021, Seite 20