Lesung im „Atelier“ Tag- und Nachteule

Wenn gleich zu Beginn einer Lesung von einer „Alltagsheldin“ erzählt wird, die sich alle wünschen würden, und es bald danach um ein „Puzzleteil“ geht, welches man für sich findet, dann ist das Publikum eingestimmt auf angenehme, zu Herzen gehende aber auch Fragezeichen hinterlassende Texte, die in den nächsten anderthalb Stunden von den Künstler*innen vorgestellt wurden.

Die Geschichten, die Hanna Bettelhäuser, Lutz Hermann und Lisa Walter aus der Feder geflossen sind, und von Tommy, Chloe, Clara, Marc und O. sowie Emma und ihrer Oma und anderen handeln sowie von einem merkwürdigen Fernseher, vom Trost durch Vanilleeis oder Marlboro Zigaretten, diversen Dreiecksbeziehungen, Liebe und Tod erzählen, konnten das Publikum schnell in den Bann ziehen. Durch de n lebendigen Vortrag und die Nachvollziehbarkeit der Motive der Figuren, ihrer Lebenslage und Reaktionen wurde leicht ein Draht zum Publikum aufgebaut, was sich in den Fragen der Anwesenden an die Autor*innen zeigte. Die Antworten der Schreibenden verdeutlichten, dass Schreiben eine individuelle und dennoch verbindende Reaktion auf alles sein kann, was uns im Leben widerfährt: „Wenn dir das Ende einer Geschichte nicht gefällt, schreib‘ dir ein eigenes, neues.“ oder “Zieh‘ um nach Hessen, dann hast du was zum drüber Schreiben.“ oder „Fahr‘ Zug, dann erfährst du eine Menge über deine Mitmenschen.“ Die Autor*innen berichteten offen über die Verarbeitung von persönlichen Schicksalsschlägen in den Texten und über ihre Inspirationen für diese, die bei Robin Feodor Hasler ganz klar aus dem Bereich der Natur und der bildenden Künste kommen. Davon zeugten eine Anzahl an Zeichnungen und Gemälden, die Robin unter anderem in Anlehnung an Vorbilder aus der Epoche der Romantik als visuelle Untermalung der Lesung im Raum ausstellte und die beim Publikum wegen ihrer Vielfältigkeit bezüglich der verwendeten Techniken und wegen ihrer Präzision in der Ausführung beachtet wurden. Der Dialog zwischen Publikum und Lesenden schien für beide Seiten ergiebig, ein Zuhörer outete sich als „Speed-Deuter“ der Texte und die Künstler*innen zeigten sich positiv erstaunt über die Vielzahl unterschiedlicher Möglichkeiten der Interpretation der Texte und die Vielfältigkeit der an sie gerichteten Fragen. Es wurde deutlich, dass das Schreiben für die auf den roten Sofas Sitzenden zwar zuvorderst Hobby und Leidenschaft ist, aber deswegen auch mit Ernsthaftigkeit, die sich z.B. in Ritualen des täglichen Schreibens äußert, betrieben wird. Die Gedichte Robin Feodor Haslers, die von einem hohen künstlerischen Anspruch zeugen, und die Lyrik als von ihm bevorzugte literarische Gattung in den Vordergrund stellen, hinterließen einen großen Eindruck beim Publikum. Luisa-Michelle Holzapfel aus der Klasse R3 der Abendschulen hatte dann spontan die Möglichkeit ergriffen auch zwei von ihr verfasste Gedichte vorzustellen und erntete dafür Respekt und Anerkennung bei den Autor*innen und den Zuhörenden. Der die Lesung abschließende Essay setzte sich mit der Frage nach dem „Original“ bzw. Originalität auseinander und entließ die Zuhörenden mit der ewigen Frage nach „Henne oder Ei“ in die Nacht.

Alle gelesenen Texte und noch weitere entstanden im Rahmen der von Lutz Hermann initiierten „Schreibwerkstatt“, einer AG an der Adolf-Reichwein-Schule Marburg, und finden sich in dem Band „Atelier“ (ISBN: 9789403630496), der auch in Bibliothek „Tag- und Nachteule“ für 20 Euro erworbenen werden kann.

© Janette Leipert